"Ich habe mit Claude eine komplette App gebaut. In 2 Stunden. Ohne eine Zeile Code selbst zu schreiben."
Solche Posts siehst du gerade überall auf LinkedIn und Twitter. Vibe Coding – der Trend, Software durch Gespräche mit KI zu entwickeln statt klassisch zu programmieren.
Klingt revolutionär. Aber ist es das wirklich? Und vor allem: Taugt das für echte Business-Anwendungen?
Meiner Erfahrung nach: Ja und Nein. Und das "Nein" ist wichtiger als viele zugeben wollen.
Was ist Vibe Coding überhaupt?
Der Begriff wurde Anfang 2025 populär. Die Idee: Du beschreibst, was du willst, und die KI (Claude, GPT-4, Cursor, etc.) schreibt den Code.
Statt:
Sagen Sie:
"Erstelle eine Funktion die Steuern berechnet. Sie soll den Betrag und den Steuersatz als Parameter nehmen."
Die KI macht den Rest.
Das funktioniert erstaunlich gut für:
- Prototypen und MVPs
- Interne Tools
- Automatisierungen
- Einfache Websites
- Datenanalyse-Scripts
Das funktioniert weniger gut für:
- Komplexe Enterprise-Software
- Sicherheitskritische Anwendungen
- Systeme mit vielen Abhängigkeiten
- Langfristig wartbare Codebases
Die unbequeme Wahrheit über Vibe Coding
Ich nutze KI-gestützte Entwicklung täglich. Für Admantics, für Kundenprojekte, für Automatisierungen. Und genau deshalb kenne ich die Grenzen.
Problem 1: Die KI versteht Kontext nicht wirklich
Sie kann Code schreiben. Aber sie versteht nicht, warum dein Legacy-System so aufgebaut ist wie es ist. Sie kennt nicht die Business-Logik hinter deinen Prozessen. Sie weiß nicht, dass der eine Workaround existiert, weil ein externer Partner eine veraltete API nutzt.
Bei neuen, isolierten Projekten: Kein Problem.
Bei Integration in bestehende Systeme: Massive Probleme.
Problem 2: Fehler sind subtil
Wenn ein Mensch Code schreibt und einen Fehler macht, ist der meist offensichtlich. Das Programm stürzt ab oder macht etwas völlig Falsches.
KI-generierter Code funktioniert oft – aber falsch. Er tut 95% dessen was er soll, aber die 5% Abweichung merkst du erst in Produktion. Bei einer Steuerberechnung. Bei Kundendaten. Bei Zahlungen.
Problem 3: Security ist ein Albtraum
Die KI kennt Best Practices. Aber sie kennt nicht deine spezifischen Security-Anforderungen, Compliance-Vorgaben, Datenschutz-Regeln. Sie generiert Code der "funktioniert" – aber der bei einem Audit durchfällt.
Nach unserer Erfahrung ist Security-Review von KI-generiertem Code aufwändiger als bei menschlichem Code. Weil die Fehler versteckter sind.
Wo Vibe Coding glänzt
Trotz allem: Die Technologie ist mächtig. Richtig eingesetzt.
Perfekt für:
- Interne Tools. Ein Dashboard für dein Team, ein Reporting-Tool, eine Automatisierung. Wenn es intern bleibt und keine kritischen Daten verarbeitet: Go for it.
- Prototypen. Du willst eine Idee testen? In 2 Stunden hast du einen funktionierenden Prototypen. Das war vor 2 Jahren undenkbar.
- Marketing-Assets. Landing Pages, interaktive Rechner, Visualisierungen. Schnell gebaut, schnell angepasst.
- Automatisierungen. Scripts die Daten transformieren, Reports generieren, Prozesse verbinden. Enorm zeitsparend.
- Learning. Du willst verstehen wie etwas funktioniert? Lass die KI erklären und demonstrieren.
Nicht geeignet für:
- Finanzsysteme. Zu viele Compliance-Anforderungen, zu hohe Fehlerkosten.
- Healthcare-Anwendungen. Regulierung, Datenschutz, Zertifizierungen – alles außerhalb dessen was KI heute leisten kann.
- Langfristige Produkte. Ein System das 10 Jahre laufen und gewartet werden soll? Braucht menschliche Architektur-Entscheidungen.
- Alles mit Kunden-Daten. Zumindest nicht ohne intensive menschliche Review.
Die richtige Strategie für 2025
Meiner Erfahrung nach ist die Frage nicht "Vibe Coding ja oder nein", sondern "Wo macht es Sinn?"
Strategie 1: Hybrid-Ansatz
KI schreibt den ersten Entwurf. Menschen reviewen, korrigieren, ergänzen. Funktioniert gut für die meisten Projekte.
Zeitersparnis: 40-60%
Qualität: Vergleichbar mit rein menschlichem Code (wenn Review ernst genommen wird)
Strategie 2: Klare Trennung
Kritische Systeme: Menschliche Entwicklung mit KI als Assistent.
Unkritische Tools: Full Vibe Coding.
Strategie 3: Schrittweise Adoption
Starte mit internen, unkritischen Projekten. Lerne die Grenzen kennen. Erst dann ausweiten.
Was bedeutet das für dein Unternehmen?
Wenn du überlegst, KI-gestützte Entwicklung einzusetzen:
- Fang klein an. Ein internes Tool, ein Prototyp. Nicht das neue Kernsystem.
- Budget für Review einplanen. KI-Code braucht mehr Review, nicht weniger. Der Speed-Gewinn wird teilweise wieder aufgefressen.
- Expertise bleibt wichtig. Jemand muss verstehen, was die KI produziert. "Ich kann nicht programmieren, aber die KI macht das" ist ein Rezept für Desaster.
- Security first. Jeder KI-generierte Code der Produktionsdaten berührt, braucht Security-Review.
Die Automatisierungen die wir bei Admantics für Kunden bauen, nutzen KI-Unterstützung. Aber jeder Workflow wird von Menschen designed, reviewt und getestet. Das ist der Unterschied zwischen "cool" und "funktioniert zuverlässig".
Mehr dazu im Artikel Was hat es mit dieser Automatisierung auf sich?
Häufige Fragen
Nein. Aber die Rolle ändert sich. Weniger "Code tippen", mehr "Code reviewen und Architektur entscheiden". Gute Entwickler werden wertvoller, nicht weniger wichtig.
Einfache Tools: Ja. Komplexe Systeme: Nein. Du kannst ein Auto fahren ohne zu wissen wie ein Motor funktioniert. Aber du solltest keins bauen.
Stand heute: Cursor (IDE mit KI-Integration), Claude (für komplexere Aufgaben), GitHub Copilot (für Code-Vervollständigung). Ändert sich schnell.
Ja. Aber nicht "wie man promptet", sondern "wie man KI-generierten Code reviewt". Das ist die kritische Fähigkeit.
Weiterführende Ressourcen
- Was hat es mit Automatisierung auf sich? – Praktische Einordnung
- KI-Marketing Automation – Unser Angebot
- Platzt die KI Bubble? – Breitere Einschätzung